Inklusion: Wenn das Normale zum Besonderen wird
Seit 2021 können auch Lernende in der Erwachsenenbildung an Erasmus+ teilnehmen. Richtete sich das Angebot zunächst an Menschen mit geringeren Chancen, so ermöglicht es seit 2023 allen erwachsenen Lernenden eine Auslandserfahrung. Als einer der ersten Projektträger führte der Landesverband der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins eine Lernreise ins schwedische Malmö
durch.
„Unsere Kolleginnen und Kollegen aus Husum und Kiel sind im Mai 2023 mit vier Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern aus dem Bereich Grundbildung für eine Woche nach Schweden gefahren“, berichtet Julia Francke, Projektkoordinatorin Erasmus+ beim Landesverband. Für sie war das Angebot eine „tolle und sinnvolle Gelegenheit“, um eine Zielgruppe zu erreichen, die aufgrund ihrer Lernbiografie und Lebenssituation ansonsten kaum Zugang zu derartigen Erfahrungen hätte. Das trage entscheidend dazu bei, das Selbstwertgefühl dieser Menschen zu steigern
Die Gruppe, die sich auf den Weg nach Malmö machte, bestand aus acht Personen: jeweils zwei Kursteilnehmenden und Begleitpersonen aus den beteiligten Einrichtungen. Neben dem Besuch der Kvarnby Folkhögskola – einer schwedischen Partnerschule, mit der der Verband schon länger zusammenarbeitet – umfasste das Programm sowohl Begegnungen mit der Kultur des Gastlandes als auch Einblicke in das schwedische Sozialsystem und die Landschaft der Erwachsenenbildung. „Ohne die intensive Betreuung und einen starken Partner vor Ort hätten wir das niemals stemmen können“, sagt Francke, die ergänzt: „Die Teilnehmer/-innen bringen in der Regel eine Lernschwäche mit. Sie hatten zum Teil noch nie ihre Heimatstadt verlassen oder in einem Hotel übernachtet. Mit der Lernreise haben wir ihnen eine völlig neue Welt eröffnet. Sie haben zum ersten Mal in ihrem Leben echte Teilhabe erlebt.“ Wichtig dabei war es vor allem, die Gruppe intensiv auf die Reise vorzubereiten, auch um Ängste zu nehmen und Vertrauen aufzubauen, erinnert sich Francke: „Das begann mit der Frage, wo Schweden genau liegt und welche Sprache man dort spricht.“ Die Teilnehmenden waren zuvor gezielt von den Kursleiterinnen und -leitern ausgewählt worden. Diese persönliche Ansprache sorgte für Bindung und emotionale Sicherheit. Francke betont die integrierende Wirkung der Maßnahme und erzählt: „Vieles, das in unserem eigenen Leben zur Normalität gehört, war für diese Menschen etwas ganz Besonderes. Es war beeindruckend zu sehen, wie sie in ihrer sozialen Rolle gewachsen sind.
Lernreisen eröffnen neue Horizonte
Mit dem Projekt hat der Landesverband Neuland betreten, da zuvor in der Regel Kursleitende oder pädagogische Fachkräfte der Volkshochschulen einen Auslandsaufenthalt über Erasmus+ absolvierten. „Das sind Leute, die reiseerfahren sind und wissen, wie man sich im europäischen Ausland bewegt. Die kommen zurecht und buchen alles selbst. Das war bei unserer Gruppe absolut nicht so“, so Francke. Als Beispiel nennt sie die Frage der Lernvereinbarungen, da es bei Menschen in der Grundbildung um den Erwerb anderer Kompetenzen gehe als sonst.
Gemeinsam mit der NA beim BIBB sei daher eine individuelle Lernvereinbarung in einfacher Sprache entwickelt worden. Sie beschreibt, was die Teilnehmenden lernen möchten und welches Ergebnis erreicht werden soll. Für Francke „ein Thema, das wir so bis dato in der Erwachsenenbildung noch nicht kannten“ und das nicht selten eine Herausforderung darstellte. Das gelte auch für organisatorische Aspekte wie das Recht am eigenen Budget oder die Abstimmung mit entsprechenden Behörden und den Werkstätten, in denen die Teilnehmer/-innen arbeiten.
Julia Francke empfiehlt den Akteurinnen und Akteuren der Erwachsenenbildung, neugierig zu sein und die Chance zu nutzen, die Erasmus+ den Lernenden biete. Sie strahlt geradezu, als sie abschließend konstatiert: „Wir sind am Ende so reich belohnt worden, dass ich eine solche Lernreise immer wieder durchführen und auch anderen dazu raten würde. Wir unterstützen damit zugleich unsere Philosophie, dass sich Institutionen nur im Kontext von europäischen Zusammenhängen weiterentwickeln können. Unser Ziel ist es, allen Einrichtungen zu ermöglichen, sowohl ihr Personal als auch ihre Lernenden in diesem Sinne zu fördern. Am Beispiel der Schweden-Reise haben wir selbst gespürt, wieviel das bewirken kann.“