Wo Integration auf fruchtbaren Boden trifft - Ein Erasmus+-Projekt stärkt Gemeinschaftsgärten als Orte der Inklusion und des Empowerments
Viele europäische Länder stehen vor der Herausforderung, Migrantinnen und Migranten sowie geflüchtete Menschen gesellschaftlich zu integrieren. Ein Ansatz ist dabei die Einbindung in Gemeinschaftsgärten und interkulturelle Gärten als Orte der Inklusion und des Empowerments. Wie dies in der Praxis aussieht, thematisiert die von Dezember 2017 bis Mai 2020 realisierte Strategische Partnerschaft UGAIN (Urban GArdens for the social INtegration of migrants), an der Institutionen aus Deutschland, Schweden, Österreich, Großbritannien und Spanien mitwirkten.
Manfred Kasper, November 2020
„Unsere Idee war es, die Nutzung von Gemeinschaftsgärten als Treffpunkt für die soziale Integration von Migrantinnen und Migranten zu stärken“, betont Dr. Andreas Gabriel vom Lehrstuhl für Ökonomik des Garten- und Landschaftsbaus an der Technischen Universität München (TU München) in Weihenstephan. Dabei gehe es zum einen darum, die Perspektive der Zugewanderten zu verbessern, zum anderen aber auch um Begegnungsmöglichkeiten mit der lokalen Bevölkerung, die das kulturelle Verständnis und die gegenseitige Akzeptanz fördern.
„Uns hat von Anfang an die soziale und politische Komponente des Projekts gereizt“, unterstreicht Gabriel. „Wir sind zwar im Gartenbau zuhause, beschäftigen uns aber auch intensiv mit Fragen der Sozialen Nachhaltigkeit. Mit dem Projekt UGAIN wollten wir einen Impuls geben, um die Arbeit der beteiligten Institutionen zu unterstützen und die Akteure stärker miteinander zu vernetzen.“
Das spiegelt sich in der Auswahl der Projektpartner wieder, die zum Teil bereits über gute Netzwerke und Beratungsstrukturen verfügten und sich inhaltlich sowohl mit der praktischen Arbeit in Gemeinschaftsgärten als auch mit Themen der Sozialarbeit und der gesellschaftlichen Teilhabe befassen. Gemeinsam wurde als Einstieg in das Projekt eine Analyse der Situation in den jeweiligen Ländern vorgenommen. Dazu wurden ausgewählte Gärten besucht und Erfahrungen von Best Practices aus ganz Europa gesammelt. Ergebnis ist eine interaktive Onlineplattform, die das vorhandene Wissen zum Thema bündelt und für Interessierte verfügbar macht. Neben der detaillierten Beschreibung von 16 Gärten und 33 Aktivitäten bietet sie auch Trainingsmodule und konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis – eine „Ermutigung“ für die Projekte vor Ort, selbst aktiv zu werden.
Positive Resonanz in der Zielgruppe
Inhaltlich geht es dabei um das Empowerment der Migrantinnen und Migranten, sei es über den Erwerb von Sprachkenntnissen, die Vermittlung von Fähigkeiten oder die Stärkung des Selbstbewusstseins durch Anerkennung, Wertschätzung und themenbezogene Aktivitäten. Zum Abschluss des Projektes wurde die Plattform im Rahmen einer coronabedingt virtuell durchgeführten Veranstaltung rund 120 Vertreterinnen und Vertretern aus der in die Planung von Gemeinschaftsgärten involvierten Zielgruppe präsentiert – die Resonanz war durchweg positiv.
Das bestätigt Cordula Fötsch vom Projektpartner Gartenpolylog aus Wien. Der 2007 gegründete Verein begreift urbane Gärten als Teil des gesellschaftlichen Wandels und Raum für Begegnung und Vielfalt. Fötsch wörtlich: „Durch UGAIN konnten wir unsere Vernetzung auf zwei Ebenen verbessern – einmal im europäischen Kontext, zum anderen aber auch innerhalb Österreichs, wo wir den Dialog mit einzelnen Gärten intensiviert haben. Das ist für uns ein großer Profit, weil wir so viel besser verstehen können, was die Gärten brauchen.“ Aus dem Projekt habe sich in Österreich eine eigene Gruppe gebildet, die regelmäßig innovative Ansätze diskutiert und vor Ort weiterentwickelt. Auch in den Medien und in der Wissenschaft sei das Interesse groß.
Von deutscher Seite war über die TU München hinaus die „anstiftung“ (Stiftung zur Erforschung und Förderung nachhaltiger Lebensstile) als bundesweite Vernetzungs- und Koordinationsstelle für interkulturelle und andere Gemeinschaftsgärten an UGAIN beteiligt. Deren Mitarbeiterin Gudrun Walesch empfand vor allem den Austausch mit den internationalen Partnern als bereichernd. „Unsere Aufgabe war es, das Projekt in die Gärten zu tragen und diesen zugleich Impulse für die eigene Arbeit zu geben“, so Walesch. Da Interkulturelle Gärten in Deutschland bereits eine Historie besitzen, habe sie selbst Know-how in den Prozess einbringen können, gleichermaßen fühlt sie sich durch das Projekt jedoch auch für die eigene Beratungsarbeit gestärkt.
Ein idealer Ort zum kulturellen Miteinander
Der Internationale Gärten e.V. in Göttingen gilt als Vorbild und Wegbereiter für die Entwicklung interkultureller Gärten in Deutschland. Der 1998 gegründete Verein setzt sich gegen Ausgrenzung ein, indem es Perspektiven für die gesellschaftliche Eingliederung von Flüchtlings- und Migrantenfamilien durch urbane Gärten aufzeigt. Im Jahr 2018 feierte er sein 20-jähriges Bestehen, heute hat er 83 Mitglieder, rund 40 Prozent von ihnen sind Deutsche.
Tassew Shimeles war von Beginn an dabei. Der 64-Jährige wurde in Äthiopien geboren und lebt seit 1980 in Deutschland. Er hat Agrarwissenschaften studiert und sich im Bereich Boden- und Wasserschutz sowie Umweltmanagement spezialisiert. Die Gärten haben seiner Meinung nach „eine enorme Bedeutung für das Funktionieren der modernen Einwanderungsgesellschaft“. Sie seien ein idealer Ort zum Miteinander, der perspektivisch auch ein interkulturelles Zusammenwachsen ermögliche. „Das Besondere dabei ist, dass wir zusammen etwas schaffen“, berichtet Shimeles. Und er ergänzt: „Die Gärten ermöglichen einen einfachen Zugang und unterschiedliche Formen der Kommunikation. Hier kann jeder einmal zum Experten werden und seinen Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen. Dabei entfalten sich Dinge, die weit über das eigentliche Gärtnern hinausgehen.“
Weitere Informationen
Mehr zum Projekt UGAIN erfahren Sie unter https://www.ugain.online/de/home/.
Die Inhalte der Lernplattform finden Sie hier: https://learning.ugain.eu/.