Mut zu Europa! Junge Erwachsene entdecken Lettland - Eine Lernreise zu digitalen Kompetenzen und Selbstwertgefühl
Tukums ist eine Kleinstadt in Lettland, etwa 60 km westlich von Riga gelegen. Hier fand die Volkshochschule Meppen in dem Verein Asni 3139 eine passende Partnereinrichtung, die sich wie die Volkshochschule in der Erwachsenenbildung engagiert, unter anderem PC Kurse auf dem Land anbietet und sich darüber hinaus der Vermittlung lettischer traditioneller Handwerkskunst widmet. „Wichtig war uns bei der Wahl der aufnehmenden Einrichtung, dass wir mit unseren Teilnehmenden ähnliche Bedingungen vorfinden wie hier im Emsland, weil die meisten unserer Teilnehmenden noch nie gereist sind“, berichtet Radka Lemmen, die mit „Mutmacher*innen für Europa“ ihr erstes Erasmus+ Projekt durchgeführt hat. Ziel dieses Projekts war es, benachteiligten jungen Erwachsenen zu ermöglichen, digitale Kompetenzen zu erwerben und zu erproben.
Eigene Stärken erkennen
Die jungen Erwachsenen lernen im Zentrum für Jugendberufshilfe der VHS, wo sie ihren Schulabschluss nachholen. Das Interesse, nach Lettland zu reisen war so groß, dass sogar eine Auswahl stattfinden musste. Die zwanzig Teilnehmenden wurden von Anfang an in das Projekt und die damit verbundenen Organisationsschritte einbezogen. „Die Workshops zur Projektumsetzung, zur Projektplanung haben wir in den Stundenplan der Teilnehmenden integriert. Sie waren ein Teil der Fächer Deutsch, Wirtschaft oder Mathe“, erklärt Radka Lemmen. So sind den Teilnehmenden keine Unterrichtsstunden weggefallen, sondern sie wurden projektbezogen weiter genutzt. Ein Nebeneffekt dabei war, dass auch die verschiedensten Alltagskompetenzen gestärkt wurden. Diese reichten von der Anreise (Besorgung der Tickets, Pünktlichkeit, Verpflegung) über die Verwaltung des eigenen Geldes bis hin zur Verständigung in einem nicht-deutschsprachigen Land.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Bevor die beiden Gruppen nach Lettland aufbrachen, besuchten die Projektverantwortlichen die Gasteinrichtung und konnten sich persönlich vor Ort über die Arbeitsweise und die Gegebenheiten informieren. Im Gegenzug besuchten auch zwei Vertreterinnen des lettischen Vereins als Expertinnen die Volkshochschule in Meppen. Der intensive Austausch und die gegenseitigen Besuche trugen dazu bei, dass die Einrichtungen viele Gemeinsamkeiten entdeckten und sich auf Augenhöhe begegnen konnten.
Entscheidend war diese Begegnung auch für das Aufstellen des Programms für den Aufenthalt der jungen Erwachsenen in Tukums. Die beiden Kollegen, die als Betreuer mitgefahren sind, wissen, wie wichtig ein strukturierter, aber nicht zu überfordernder Tagesablauf für diese Zielgruppe ist. Für jeden Tag gab es eine Mischung aus körperlichen Aktivitäten, verbunden mit kleinen Forschungsaufträgen, die manchmal auch einen unterhaltsamen Charakter hatten. Einer davon war es herauszufinden, ob Tukums eine Burg hat. Ein anderer schickte die Gruppe zu einem Besuch in einen Kräutergarten. Das anschließende Sammeln der Kräuter nach dem Geruch führte zu viel Austausch untereinander.
Digitales Lernen mit Micro Challenges
Während des Aufenthaltes in Tukums haben die Teilnehmenden mit Hilfe von mobilen Endgeräten Blogbeiträge verfasst, ein digitales Portfolio erstellt und auch kleinere Videos aufgenommen, die als Instagram oder Facebook Beiträge online gestellt werden konnten. Um dies umzusetzen bekamen sie kleinschrittige Aufgaben in Form von Micro Challenges, die sie digital bearbeiten konnten. Micro Challenges oder als Mikrolernen bekannt sind Aufgaben im Häppchen-Format.
Micro Challenge Besuch der Deutschen Botschaft: Vor dem Besuch der deutschen Botschaft in Riga arbeiteten die Teilnehmenden in Paaren oder in Kleingruppen. Sie erkundeten mit dem Tablet digital den kürzesten und günstigsten Reiseweg dorthin. Dabei mussten sie mit Übersetzer-Programmen arbeiten, um die Buchungs-App anzuwenden. Sie sammelten Fragen zur Arbeit des Botschafters, überlegten sich Fragen zum Land aus der Sicht eines interessierten Publikums wie die Gleichaltrigen oder Eltern und skizzierten rückblickend einen Blog-Beitrag oder simulierten eine einfache Pressekonferenz. Es ging darum, dass im gemeinsamen Tun ein Ganzes entsteht und jeder mit seinem aktuellen Wissenstand und Können zum Gelingen beiträgt. Wichtig war, dass das Lernen an der Lebenswelt der Teilnehmenden ausgerichtet ist.
Stolz auf die Ergebnisse
Zurück in der Heimat erwartete die erste Gruppe ein ganz besonderes Highlight: Die erzielten Ergebnisse flossen in eine eigene Ausstellung zur Reise mit dem Namen „Blickwinkel 45 – Erfahrungsschätze aus unterschiedlichen Lebensräumen“ ein, die am 30.11.2022 feierlich eröffnet wurde. Bis Ende August 2023 konnte die Dokumentation der Reise in Form von Fotos, Interviews und Ausschnitten aus den Blogbeiträgen der Teilnehmenden besichtigt werden. Diese wurden auf Leinwänden angebracht und im gesamten Hauptgebäude der VHS Meppen aufgehängt – eine Leistung, auf die die Teilnehmenden sichtlich stolz sind.
Über die Dokumentation der Lettland-Reise im Rahmen des Projektes „Mutmacher*innen für Europa“ hinaus haben sich auch die Meppener Künstlerin Janet Große und Ziedonis Stutins, Mitarbeiterin und Mitarbeiter der VHS Meppen, mit persönlichen Bild-Beiträgen an der Ausstellung beteiligt.
Lernende in ein Projekt einbeziehen – ein Rückblick
„Die Umsetzung des ersten Kurzzeitprojektes betrachten wir als vollen Erfolg“, sagt Radka Lemmen. Die zwei Betreuungspersonen kannten die Teilnehmenden aus dem täglichen Kontakt. „Es war uns wichtig, eine weibliche und eine männliche Person als Betreuende zu gewinnen, damit sich die Teilnehmenden vertrauensvoll an die gewählte Person wenden können“, erläutert Radka Lemmen. Wir haben erlebt, dass es eines Bewusstseins für die Problemlagen der Teilnehmenden bedarf. Das macht das Reisen mit benachteiligten Personen besonders, aber nicht aufwendiger als mit einer Großfamilie. Die genaue Kenntnis der Teilnehmenden und deren Bedürfnisse erleichtert die gemeinsame Planung und Umsetzung. Die Betreuenden berichteten, dass das Englische der Teilnehmenden sich von Tag zu Tag verbesserte. Dadurch wurden sie immer selbstständiger, offener und freudiger. Das trug positiv zum Selbstvertrauen bei. Bei der Ausstellungseröffnung waren auch Familienmitglieder und Freunde anwesend, denen die Teilnehmenden stolz Kommentare zu den Fotos und veröffentlichten Blogbeiträgen abgaben.
Das erarbeitete und während der beiden Lernaufenthalte ausprobierte Empowerment-Konzept nutzt die VHS bereits auch in anderen Projekten. Es lässt sich kaum aufzählen, woran man den Erfolg der Lernmobilität messen kann. Am eindrucksvollsten kommentierte es eine Lehrkraft am ersten Unterrichtstag nach der Rückkehr: glückliche, ausgeglichene junge Menschen, die selbstbewusst und auch kritisch mit anderen Gleichaltrigen über die gemachten Erfahrungen sprachen.