Gemeinsam stark im Pflegealltag mit Berufs- und Erwachsenenbildung! - Projekte gemeinsam umsetzen: Wie gelingt das?

Text von Christina Budde | August 2023

Zwei Lernplattformen mit Infos und Tools, die den harten Pflegealltag von beruflich oder privat Pflegenden erleichtern: Das steht am Ende von drei Jahren Forschung und Entwicklung der Erasmus+-Projekte PRAGRESS in der Berufsbildung und Communicare in der Erwachsenenbildung. Die Projektpartnerinnen und -partner haben von Beginn an eng zusammengearbeitet, obwohl die Projekte als Einzelprojekte angelegt waren. Hat sich dieser Weg gelohnt und worauf sollte man achten? Die Projektkoordinatorinnen Ruth Dankbar vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg und Prof. Bettina Flaiz von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg erzählen von ihren Erfahrungen. 

Frau Dankbar, Frau Flaiz: Können Sie für uns kurz zusammenfassen, worum es in Ihren beiden Projekten geht?

Ruth Dankbar: Bei Communicare spiegelt schon der Name den Inhalt: Es geht um Kommunikation und Pflege. Kommunikation ist in der Beziehung von Pflegeempfänger:innen und Pflegepersonen wesentlich. Sie kann herausfordernd und belastend sein, zum Beispiel bei bestimmten Erkrankungen wie etwa dementiellen Veränderungen. Dafür wollten wir Lösungen entwickeln. Wir haben deshalb eine E-Learning-Plattform entwickelt: mit spannenden Methoden vermittelt sie Pflegekräften und pflegenden Angehörigen, wie sie sich für die Kommunikation im Pflegealltag besser rüsten können.

Bettina Flaiz: Bei PRAGRESS geht es um ein Tabuthema, das häufig vorkommt, aber bislang wenig thematisiert wurde: Aggressionen und Gewalt von Pflegeempfänger:innen gegenüber Pflege- und Betreuungspersonen. Unsere Online-Plattform vermittelt Wissen und Tools zu dem Thema und hilft bei der Vorbeugung von und beim Umgang mit aggressivem Verhalten. 

Ruth Dankbar vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg

Wie ist es zu Ihrer Zusammenarbeit gekommen?

Ruth Dankbar: Wir kannten uns über Netzwerke hier in Stuttgart. Unsere Themen liegen nahe beieinander, weil eine nicht gelungene Kommunikation beispielsweise ein Triggerfaktor für aggressives Verhalten sein kann. Deshalb sind wir jeweils Projektpartner im anderen Projekt gewesen. In den Projektsitzungen haben wir dann schnell festgestellt, dass man das Rad nicht immer neu erfinden muss, sondern auf das Wissen und die Erfahrungen des anderen Projekts zurückgreifen kann: etwa bei formalen Dingen wie Time Sheets oder anderen Vorlagen, die sich entsprechend anpassen lassen. Auch die große Abschlussveranstaltung haben wir gemeinsam geplant und umgesetzt und konnten so Personal und andere Ressourcen sparen. 

Bettina Flaiz: In beiden Projekten sind Online-Lernplattformen Kernelemente. Auch in diesem Bereich lassen sich technische Fragen, Ideen zur Umsetzung oder rechtliche Fragen übertragen, etwa bei der „creative common license“. 

Wie haben Sie die anderen europäischen Partnerorganisationen gefunden?

Ruth Dankbar: Hier konnten wir ebenfalls auf Netzwerke zurückgreifen: unser griechischer Partner Frontida zois ist gut vernetzt und hat die Kontakte zu den europäischen Partnern vermittelt.

Beide Projekte haben eine wissenschaftliche Basis und zugleich den Anspruch, so verständlich und praxisnah wie möglich zu sein. Haben sich auch bei diesem Thema Gemeinsamkeiten gezeigt?

Bettina Flaiz: Unser wissenschaftliches Vorgehen war ganz ähnlich: Beide Projekte beruhen auf einer gründlichen Bedarfsanalyse in Form von Literaturrecherchen zu Studien und dem Führen von qualitativen Interviews. Das Ziel der ausführlichen Bedarfsanalyse: Wir wollten unsere Angebote so bedarfs- und adressatengerecht wie möglich gestalten. Die Interviews haben dann die EU-Partner mit „formellen“, das heißt hauptberuflich tätigen Pflegekräften geführt sowie mit „informellen“ Pflegenden, das heißt mit Angehörigen oder Nachbarn, die sich um Pflegeempfänger:innen kümmern. 

Prof. Bettina Flaiz von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg

Ruth Dankbar: Bei uns kamen bei den Interviews noch Trainer*innen und Coaches hinzu, die in der Aus- und Weiterbildung tätig sind, sowie die Pflegeempfänger*innen selbst. 

Was haben die Bedarfsanalysen ergeben? Man könnte vermuten, dass es in den EU-Ländern wegen der unterschiedlichen Sozialsysteme und Kulturen Unterschiede gibt.

Bettina Flaiz: Das spannende Ergebnis war, dass es keine Unterschiede gibt: Aggression und Gewalt erfahren innerhalb der EU alle Menschen, die pflegen – ob in Griechenland, Österreich, Italien oder Finnland. Sie sind Teil des Pflegealltags. 

Ruth Dankbar: Auch bei uns war das Ergebnis über die Grenzen hinweg ähnlich: alle Pflegeempfänger:innen wünschen sich Kommunikation auf Augenhöhe, Respekt, Zeit, ein aktives Zuhören. In Deutschland gibt es allerdings eine kleine Besonderheit: Anders als in den anderen EULändern, unterscheiden wir in der Ansprache zwischen SIE und DU. Im Alltag scheint sich schnell ein DU einzuschleichen, was zwar gut für das Thema Nähe sein kann, aber was genauso respektlos wirken kann. Unsere Empfehlung ist hier, bewusst auf die Verwendung des DUs  zu achten.

Sie sind im Projekt auf Partnerorganisationen aus Wissenschaft und Praxis getroffen. Manchmal sind das unterschiedliche Lebenswelten. Wie haben Sie zueinander gefunden?

Ruth Dankbar: Es war wichtig, in den offenen Austausch zu gehen und genau über die Erwartungen zu sprechen. Wir konnten auf diese Weise voneinander lernen, jeweils die Perspektive zu wechseln und zu bemerken: Wir brauchen das wissenschaftliche Fundament genauso wie die Praxisnähe, damit unsere Projekte auch angenommen werden: Alle, die pflegen, sollen die Lerninhalte auf den Plattformen verstehen und nachvollziehen können. 

Beide Lernplattformen sind methodisch sehr abwechslungsreich angelegt: Sie arbeiten mit Erklärvideos wie „My simple Show“, mit verschiedenen unterhaltsamen Quizzes, mit berührenden persönlichen Erfahrungsberichten und vielen anderen oft interaktiven Methoden.

Bettina Flaiz: Auch hier konnten wir sehr voneinander profitieren und haben eine Menge methodische Zugänge kennengelernt. Es war technisch nicht immer einfach umzusetzen, aber die Lerneffekte waren groß.

Können Sie die wichtigsten Do’s and Don’ts der Zusammenarbeit zusammenfassen?

Ruth Dankbar: Eine klare Kommunikation über Verantwortlichkeiten von Anfang an ist hilfreich. Vertrauen zu schaffen, indem man sich mehr Zeit nimmt als sich nur über Fachliches auszutauschen, ist auf jeden Fall ebenso wichtig. Dafür sind die persönlichen Meetings besser als die Online-Sitzungen, die zwar schnell auf den Punkt kommen, bei denen jedoch die Pausengespräche fehlen. 

Bettina Flaiz: Je mehr Partner:innen über die Dauer des Projekts „stabil“ bleiben, desto besser: Das schafft Verlässlichkeit, aber auch das Fundament, auf dem Offenheit entstehen kann. Und letztlich die Netzwerke, auf die man auch bei weiteren Projekten zurückgreifen kann. 
 

Dann sind schon weitere „gemeinsame“ Projekte geplant?

Beide: Auf jeden Fall! Die Anträge sind schon gestellt. 

Informieren Sie sich weiter über das Thema Gesundheit und Pflege auf unserer Erasmus+ Themenseite!