Körperimprovisationen beim Bibliodrama-Workshop zum Thema „Versöhnung“ in Kreisau, Polen
Foto: Wesenberg
Text von Julia Göhring | Mai 2022
Bibeltexte spielerisch erforschen, um das Verständnis des Textes zu vertiefen – dieses Angebot kulturell-religiöser Bildung heißt Bibliodrama und nutzt dafür vor allem non-verbale, körpersprachliche und ästhetische Techniken. Die deutsche Gesellschaft für Bibliodrama (GfB) hält Bibliodrama daher für besonders geeignet für interkulturelle Bildungsarbeit. Unterstützt von ERASMUS+ führt die GfB europaweit Projekte durch.
Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem Bibliodrama-Workshop teil, Sie haben eine Rolle gewählt: Jakobus oder Petrus. In dieser Rolle folgen Sie Ihrem Anführer, Jesus. Er will auf dem Berg Tabor beten. Wenn Sie den Gipfel erreicht haben, werden Sie sein Gesicht „wie die Sonne“ leuchten sehen, heißt es in Ihrem Text, der Bibel. Tatsächlich sitzen Sie vor einem Bildschirm. Sie haben die Kachelansicht bei Zoom gewählt und blicken in einige bekannte und einige fremde Gesichter. Die Workshop-Leiter/innen bitten Sie, aufzustehen und herumzugehen. Sie machen ein paar Schritte in Ihrem Wohn- oder Arbeitszimmer. Vielleicht fühlt es sich seltsam an. Jetzt sollen Sie den Berg besteigen, ermuntern die Leitenden. In Ihrem Arbeitszimmer? Der Pfad zum Gipfel sei steinig, steil. Sie begeben sich in die Rolle und spielen: Beginnen den Aufstieg, heben Ihre Beine bei jedem Schritt höher, greifen hinauf in die Luft, als müssten Sie sich festhalten, vielleicht springen Sie, keuchen. Sie strengen sich an. Mit Ihrem ganzen Körper steigen Sie in den Text ein. - Zurück vor dem Bildschirm tauschen Sie sich aus: Was haben Sie gefühlt?
Mit solch körpersprachlichen Techniken wie hier im Rollenspiel und/oder ästhetischen Methoden, zum Beispiel der Fotografie, arbeitet Bibliodrama. So versuche man, erklärt Pastorin Maria Harder, „in die Tiefe des Bibeltextes einzudringen, zwischen die Buchstaben und Sätze.“ Ziel sei jeweils einem Bibeltext und damit auch den menschlichen Erfahrungen, von denen er handelt, näher zu kommen, in Pandemie-Zeiten eben auch online. Oder wie Anja Stieghorst, Diakonin in der Evangelischen Jugend Bremen, es ausdrückt: „Man `verflüssigt´ den Bibeltext und reichert ihn mit eigenen Erfahrungen an“. Die Methode ähnelt dem des Psychodramas, indem sie persönliche Fragestellungen und Konflikte anhand des Bibeltextes erlebbar macht. Der didaktische Nutzen liegt insofern im handlungsorientierten Verstehen der menschlichen Grundkonflikte, die sich eben auch in biblischen Texten ausdrücken. Die Bibel als Text wiederum gehört in allen europäischen Ländern auch religionsübergreifend zum traditionellen Kulturgut, sodass sie sich als Grundlage auch für interkulturelle Angebote eignet.
Harder und Stieghorst haben am ERASMUS+ Projekt „Europäische Bibliodrama-Fortbildungen“ teilgenommen. Während Harder sich zur Lehr-Bibliodramaleiterin ausbilden ließ, war Stieghorst als Teilnehmerin dabei. Projektleiter Wolfgang Wesenberg ist überzeugt: Bibliodrama ist eine Methode, die sich für interkulturelle Bildungsprozesse über sprachliche Grenzen hinweg besonders eignet, „weil dort vor allem mit non-verbaler Kommunikation gearbeitet wird“. Deshalb lasse sich Bibliodrama auch in sprachlich gemischten Gruppen einsetzen. Viele Bibliodrama-Leitende stünden in ihren Einrichtungen, etwa in der Jugendarbeit, zunehmend solchen Gruppen gegenüber. Zu erforschen, wie sich Bibliodrama
dort einsetzen lässt, war eines der Ziele des Projektes. Griechenland, Ungarn und Schweden sind nur einige Länder, in denen Fortbildungen mit sprachlich gemischten Gruppen unter Leitung kulturell gemischter Teams stattfanden. Insgesamt wurden mithilfe von ERASMUS+ knapp 50 Mobilitäten ermöglicht.
Die Erfahrungen waren trotz der Sprachbarrieren ermutigend. In den Kursen begegneten sich Teilnehmende aus ganz Europa, es gab sogar eine Teilnehmende mit einem „griechischen Vater und einer finnischen Mutter“, erinnert sich Maria Harder. In der Regel wurde auf Englisch kommuniziert. „Und wer feststellte, dass die Leitenden in einem Fortbildungskurs schlechter Englisch sprachen als man selbst, übernahm eher die Verantwortung für sich selbst, wo vorher vielleicht eine Kultur der Mitnahme herrschte“, erläutert Harder. Aber man habe auch gemerkt, dass es für Teilnehmende wichtig sei, sich in der Reflektion der Erfahrungen muttersprachlich austauschen zu können. So ist für kommende Angebote auch das Ziel formuliert, immer mindestens zwei Teilnehmende aus einem Land zu gewinnen.
Zudem konnten kontinuierliche Bildungsangebote etabliert werden, etwa eine Veranstaltungsreihe mit der „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“ in Polen, die polnische und deutsche Bibliodrama-Gesellschaft zusammen veranstalten.
Michael Markert, Pfarrer und Referent für Kirchlichen Fernunterricht (KfU), einer Bildungseinrichtung für evangelische Ehrenamtliche, hat während des Projektzeitraums sogar einen Workshop mit Teilnehmenden aus Tansania durchgeführt. „Wer weiß, ob das überhaupt geht?“, sei durchaus ein Gedanke gewesen, immerhin musste Kisuaheli ins Deutsche übersetzt werden. Aber eine der Teilnehmerinnen aus Tansania habe nach einem Jahr noch geschrieben, dass sie oft an den Workshop zurückdenkt. Es stelle einen Reiz dar, auf „Grenzen, die einem Respekt einflößen, zuzugehen und verschiedene Perspektiven einzunehmen“.
Harder, Stieghorst und Markert nutzen Elemente des Bibliodramas auch für ihre alltägliche Bildungsarbeit in Schulen, der Gemeinde oder mit evangelischen Ehrenamtlichen. Nur im interreligiösen Austausch sei man noch nicht richtig vorangekommen. Aber noch für dieses Jahr ist die Bibliodrama-Fortbildung „Maria in Bibel und Koran“ geplant.
Anja Stieghorst hat aus den Erfahrungen den Schwung mitgenommen, europäische Bibliodrama-Kurse während der Pandemie auch online mit Teilnehmenden aus ganz Europa zu ermöglichen. Mit einer Belgierin und einer Polin leitet sie den Bereich „European Bibliodrama Online“. Stieghorst sieht vor allem die Möglichkeiten, die Online-Bibliodrama bietet. Dies sei eine Art „Corona-Geschenk“, weil man gezwungen sei, didaktisch etwas Neues auszuprobieren. Als Beispiele nennt sie das Spiel mit Handpuppen oder den Austausch über private Alltagsgegenstände, die Teilnehmende an ihren Zoom-Arbeitsplätzen hätten und die sie mit dem jeweiligen Thema, zum Beispiel „Dunkelheit“, verbänden. „Dieser besondere persönliche Zugang wäre analog so nicht möglich.“
Und auch die europaweite Ausbildung zum/zur Bibliodrama Leiter/in ist in eine neue Runde gegangen, versehen mit dem Hinweis: „All courses will be in broken bad basic English".