Exponate im Nationalmuseum in Kopenhagen
Text: Christina Budde, Fotos: Melanie Wunsch, Dezember 2024
Für ihre Ausstellung EIS.ZEIT.REISE.GRÖNLAND konnte Ausstellungsleiterin Melanie Wunsch vom Neanderthal Museum mit Erasmus+ über das dänische Kopenhagen nach Grönland reisen. Eine besondere Lernreise, die sie so schnell nicht mehr vergessen wird.
Rund 800 Jahre alt sind die Lampe aus Speckstein und das Messerchen mit einer Klinge aus Meteorideisen, die einst die nomadisch lebenden Jäger und Sammler auf ihren Wanderungen durch die eisige Weite Grönlands begleitet haben.
„Dass wir diese Funde jetzt bei uns in Neanderthal Museum zeigen konnten, war ein besonderer Glücksfall“, so Archäologin und Ausstellungsleiterin Melanie Wunsch. „Wir hätten sie nie ausstellen können, wenn ich auf meiner Erasmus+-Reise nicht meinen dänischen Fachkollegen Professor Bjarne Gronnow in Kopenhagen persönlich kennengelernt hätte, der sie mir als Leihgabe anvertraut hat.“
Informationen aus erster Hand
„Ohne die Reise nach Dänemark und Grönland wäre die Ausstellung EIS.ZEIT.REISE.GRÖNLAND insgesamt nicht so schön geworden“, ergänzt ihre Kollegin Anna Riethus, die für die Forschungskoordination im Museum verantwortlich ist. Denn Melanie Wunsch konnte auch deshalb Ideen für eine besondere Ausstellungsgestaltung entwickeln, weil sie die Informationen aus erster Hand erhielt und nicht nur aus Büchern. Den Kern der Ausstellung bildet die Graphic Novel „Quanga“, die von dem grönländischen Künstler Konrad Nuka Godtfredsen gestaltet wurde. Die lebendigen Bildergeschichten über die grönländische Geschichte ziehen Kinder und Erwachsene, die die Ausstellung besuchen, in ihren Bann. Audio-Stationen erreichen auch Menschen, die beispielsweise nicht gut lesen können.
„Im Austausch mit dänischen und grönländischen Expertinnen und Experten haben wir unglaublich viel über die arktische Archäologie und Besiedlungsgeschichte Grönlands erfahren“, so Wunsch. „Uns hat aber auch interessiert: Wie leben und überleben die Nachfahren der indigenen Grönländer heute, wenn sie zum Teil noch immer als Jäger und Sammler unterwegs sind? Was trägt man mit sich, wenn man umherwandert? Wie schützt man seine kleinen Kinder in einer lebensfeindlichen Umwelt? Auch wenn das Leben vor 800 Jahren anders war als heute: Solche Fragen erweitern den archäologischen Blick“. Man tauche in die Themen als Ausstellungsmacherin tiefer ein und könne dies besser an Besucherinnen und Besucher vermitteln.
Anders....
Ostern 2023: Der Flughafen in Kangerlussuaq ist das Drehkreuz für den gesamten Flugverkehr Grönlands und der erste Kontaktpunkt für Melanie Wunsch mit Grönland. Ein 500-Seelen-Ort inmitten riesiger Berge, nur 25 Kilometer vom ewigen Inlandeis entfernt; drumherum „Einöde“, die ein oder andere Skurrilität am Wegesrand: ein fleischiges Rentier-Bein mitten auf der Straße beispielsweise. Wäsche, die bei minus 13 Grad draußen getrocknet wird. „Habe ich später auf der Terrasse meines Appartements ausprobiert, funktioniert“, so Wunsch. Im Supermarkt: tiefgefrorener Moschusochse und Robbenrippchen. Kinder, die bei großen Minus-Temperaturen im Meer baden. „Meine Töchter wollten sofort mitmachen, aber haben es sich dann doch anders überlegt.“
Dass Melanie Wunsch ihre Töchter auf überwiegend eigene Kosten mitnehmen konnte, sei nicht nur für die damals zehn- und vierzehnjährigen Mädchen ein eindrückliches Erlebnis gewesen, sondern habe auch andere Vorteile gehabt: über die Kinder sei sie schneller in Kontakt mit Einheimischen gekommen, die meist nur grönländisch und dänisch sprechen und zurückhaltend im ersten Kontakt mit als „anders“ wahrgenommenen mitteleuropäischen Menschen sind. „Über die Kinder sind überaus freundliche und warmherzige Begegnungen entstanden“, erzählt Wunsch.
....und überwältigend schön
Unendliches Inlandseis, das vier Fünftel der Landesfläche ausmacht, tausende von Fjorden mit bis zu 300 Kilometern Länge und fast 1.500 Metern Tiefe, gigantische Gletscher von bis zu 100 Kilometer Breite, Hochgebirge bis in Höhen von 3.700 Metern, dunkelblau-tiefes Meer ohne Algen und völlige Stille: die Superlative reichen kaum aus, um die gewaltige Natur Grönlands zu beschreiben. „Als wir einen Bootsausflug in einen Fjord gemacht und diese unfassbare Landschaft gesehen haben, war ich so berührt, dass mir die Tränen kamen“, erzählt Melanie Wunsch. „Man spürt, wie klein man als Mensch jenseits der Zivilisation eigentlich ist“, sagt sie. Nach Grönland zu reisen, sei ein Lebenstraum gewesen, so Wunsch.
… mit Schattenseiten
Doch Grönland ist nicht nur malerisch, sondern hat auch mit großen sozialen Unterschieden zu kämpfen: auf der einen Seite gut situierte Menschen in schmucken bunten Häuschen, auf der anderen Seite graue Plattenbauten, eine hohe Arbeitslosigkeit und viele perspektivlose Menschen, die ihre Situation mit Alkohol betäuben. Die globale Erderwärmung verändert das Ökosystem Grönlands und bewirkt ein Abschmelzen des ewigen Eises und der Gletscher. Die Kolonialgeschichte wirkt nach und ist noch immer nicht vollständig aufgearbeitet. „Kolonialgeschichte ist ein europäisches Thema“, so Wunsch. „Wobei es mir so erscheint, als sei die dänische Regierung uns bei der Aufarbeitung hier in Deutschland einen Schritt voraus“, so Wunsch weiter.
Fachlicher Mehrwert...
Sowohl im Nationalmuseum in Kopenhagen als auch im grönländischen Nationalmuseum in Nuuk konnten Wunsch und ihr Kollege Springer mithilfe der Experten vor Ort tiefe Einblicke in die Sammlung grönländischer Funde aus 4.500 Jahren nehmen. In beiden Orten entstanden herzliche Kontakte, die auch über die Dauer der Sonderausstellung Bestand haben werden, glaubt Wunsch. So hätte sie der grönländische Museumleiter Frederic Fuuja Larsen noch gern mit auf Rentierjagd genommen. „Aber dann hätten wir bis zum Sommer bleiben müssen“, lacht sie.
In vielem seien die Museen in Kopenhagen und Nuuk Vorbild, so die Ausstellungsleiterin. Arbeitskultur und Work-Life-Balance seien von größerer Mitarbeiterorientierung und Entspanntheit geprägt. Es müssten nicht dreißig Projekte gleichzeitig bewältigt werden. „Und wenn keiner mehr kommt, dann schließt das Museum eben,“ erzählt sie. Dennoch sei die Serviceorientierung gegenüber den Kunden größer: so würde beispielsweise jeder Gast persönlich begrüßt“. Manches davon habe man im Neanderthal Museum schon übernommen, so Wunsch.
… und menschlicher und kultureller Zugewinn
„Wenn wir ein Land nicht kennen, haben wir Bilder davon im Kopf, die oft nicht mit der Realität übereinstimmen“, denkt Melanie Wunsch. Nach unserer Reise konnten wir einiges korrigieren und wissen jetzt so viel mehr über das Leben, die Sorgen und Wünsche der Menschen am anderen Ende Europas.“
„Eine irrsinnig gute Idee der EU“
Lange ist es noch nicht her, dass das Erasmus+-Programm auch von kulturellen Einrichtungen genutzt werden kann. Das Neanderthal Museum hat seitdem schon mehrere Projektreisen umgesetzt. „Wir sind ein neugieriges Team. Die Möglichkeit, sich innerhalb Europas auszutauschen und zu vernetzen, kommt bei uns unglaublich gut an,“ so Forschungskoordinatorin Anna Riethus.