„Selbst erleben ist anders als Theorie“ - Weiterbildung in Frankreich
Was bewegt eine Trainerin, sich eine Auslandsfortbildung in einer Sprache auszusuchen, die sie noch kaum beherrscht? Uli Busch, DaF-Trainerin an der GLS-Sprachenschule in Berlin, wollte besser verstehen, wie sich ihre eigenen Schülerinnen und Schüler fühlen, die anfangs fast ohne Sprach- und Kulturkenntnisse in den Unterricht kommen.
November 2020, Christina Budde
Herzklopfen. Ein Fachwerk-Altbau mitten im französischen Tours, einer Kleinstadt an der Loire zwischen Orléans und Atlantik. Uli Busch, 42, steigt die Treppen zur Sprachschule hinauf und ist gespannt: Was wird hier im Französisch-Kurs passieren? Wird sie mitkommen, sich in der größtenteils noch fremden Sprache ausdrücken, Kontakt knüpfen können? Wer wird sie dort sein? „Ich war wieder sechs Jahre alt und habe eine emotionale Zeitreise gemacht“, erzählt die Berlinerin.
Den Perspektivwechsel erleben
Dabei sei sie als Europäerin und gelegentliche Frankreich-Reisende nicht einmal „Analphabetin“ in der französischen Kultur, sagt Busch. Wie erst müssen sich Menschen fühlen, die von sehr viel weiter her kommen? Solche Menschen sitzen größtenteils in Buschs „Deutsch als Fremdsprache“-Unterricht, sie kommen aus Taiwan oder Syrien. Um ihre Perspektive besser zu verstehen, hatte Busch sich innerhalb des Erasmus+-Programms für eine Sprachen-Fortbildung entschieden, bei der sie sich selbst bewusst in ihrem Erleben und Verhalten beobachten wollte. Die Erkenntnisse sollten in ihren eigenen Unterricht einfließen.
Lektion 1: Sich in eine andere Kultur hinein zu katapultieren, verlangt Ruhe, um Neues aufnehmen zu können
„Wäre da nicht die riesige schwarze Spinne über mir gewesen, wäre ich todmüde sofort eingeschlafen, als ich in Tours ankam“, erzählt Uli Busch. Zu Hause in Berlin hätte sie jemanden um Hilfe gebeten, doch hier war niemand, der sie entfernen konnte. „Ein wenig ist die Spinne ein Symbol“, sagt Busch. Den Alltag in einem komplett neuen Umfeld zu bewältigen ohne Freunde und Familie und dennoch zugleich offen zu sein für Menschen und den neuen Lernstoff, das sei schön, aber auch anstrengend gewesen. Die Erkenntnis für den Unterricht als Lehrerin: Die meisten Schülerinnen und Schüler sind am Anfang vor allem mit sich selbst beschäftigt und brauchen Zeit, um sich zurechtzufinden. Erst recht, wenn sie von einem anderen Kontinent kommen. Dies als Desinteresse auszulegen sei falsch.
Lektion 2: Vertrauen und Sicherheit sind das Fundament beim Lernen
„Ich fand mich verschwitzt und aufgeregt inmitten lauter viel jüngerer Mitschülerinnen wieder, die überwiegend aus Korea kamen“, erinnert sich Busch. Die Möglichkeiten, sich sprachlich korrekt und auch noch interessant auszudrücken, hätten „auf einem sehr kleinen Badehandtuch“ Platz gehabt. Wie eine Zweijährige hilflos vor sich hin zu stammeln, verursachte Scham. Wie wohltuend, dass Lehrerin Lucie „Worte reichte“, wie Busch das nennt, aufbauend lächelte, Mut machte. „Man braucht die Zuversicht, dass Menschen dich verstehen und dir helfen wollen“, so Busch. Nur dann würde man sich trauen, zu sprechen und dabei zunächst Fehler zu machen.
Lektion 3: Methodenvielfalt und Teamarbeit ermöglichen leichteres Lernen
Sprachenunterricht in Frankreich sei frontaler, mit einem größeren Anteil bei der Lehrperson, als sie es in ihrer Ausbildung als DaF-Trainerin gelernt habe, so Uli Busch. „Das funktioniert zwar auch“, sagt sie. Für sich selbst hat sich jedoch die Erkenntnis verstärkt, dass Partnerwechsel, Klassenspaziergang, wechselnde Phasen zwischen Stoff-Vermittlung und Teamarbeit den Lernprozess dynamischer und erlebbarer machen. „In Teamarbeit fühle sich niemand vorgeführt“, sagt Busch. Zudem nähme die Eigenständigkeit ständig zu, weil die Lernenden selbst Verantwortung übernehmen müssen.
Lektion 4: Erfolg erleben tut gut
Eine Sprache perfekt zu erlernen, bezeichnet Uli Busch als Langläuferziel. Um die Motivation nicht zu verlieren, brauche man jedoch auch Kurzstrecken-Ziele. Zu bemerken, „Wow, das war richtig, das Verb kommt in die Lücke“ und andere kleine Erfolgserlebnisse, das erhielte die Motivation. „Ich verstehe jetzt, dass die Korrektur von Aufgaben und jede Aufmunterung in noch so kleinen Fragen Sicherheit produzieren“, so Busch. Als Lehrperson lerne sie daraus, dass sie Erfolgserlebnisse in die Unterrichtsvorbereitung einplane.
Lektion 5: Ma vie en rose oder Freude schafft Motivation
„Ma vie en rose“, hat Busch erfahren, sagen die Franzosen, wenn sie ausdrücken wollen: Verliebt ins Leben zu sein, mit allen Sinnen zu erleben und zu genießen. Die Sprachenschule, die Busch besucht hat, liegt am Place Plumerau, einem Herzstück Tours, mit vielen Cafés und Delikatessengeschäften. Attraktiv und dennoch unerreichbar schien dieser Platz für Uli Busch anfangs zu sein „Ich habe ihn von oben aus dem Fenster der Schule betrachtet, am Tag, wenn er reizend dalag und abends, von außen und draußen, wenn das Leben dort pulsierte. Zum Greifen nah und doch war ich meistens allein und hatte keinen Impuls, mich mitten hinein zu setzen.“ Am Ende ihres Sprachkurses hatte Busch jedoch Kontakte zu Mitschülerinnen geknüpft. „Wir saßen dort zusammen, lachten, tranken Rosé. Ich fühlte mich wie eine Gewinnerin, den Platz nun endlich erobert zu haben, endlich dazuzugehören.“ Das sei wie eine Belohnung für alle vorherigen Mühen gewesen.
Von der französischen Mentalität hat Busch deshalb auch für den Unterricht gelernt: Wenn Teilnehmende mit Spaß lernen und durch Erfolgserlebnisse belohnt würden, speicherten sie dies als positive Erfahrungen und begäben sich immer wieder gern in solche Lernsituationen. „So wie ich es selbst auch immer wieder machen würde“, so Busch.